Aus: Harro Harring’s sämmtliche Werke – eine kommentierte Bibliographie von Thomas Thode, Eutiner Landesbibliothek, 2005

Harro Harrings Lebenslauf

Wachet, stehet im Glauben, seid männlich und seid stark!
(1.Korinther 16,13. Harrings Konfirmationsspruch)

28.8.1798
Harring wurde auf dem Ibenshof/Wobbenbüll bei Husum in Nordfriesland geboren. Er war einer von sieben Söhnen des Deichgrafen Harro Wilhelm Martens und dessen Ehefrau Margarethe Dorothea Sievers; fünf seiner Brüder starben schon in den ersten Lebensjahren (vermutlich an Tuberkulose), es überlebten Harro und sein älterer Bruder Martin. Harro war ein kränkliches, aber zähes Kind; mit acht Jahren traf ihn ein Nervenschlag, so dass die rechte Körperhälfte total gelähmt war, das rechte Ohr war fast taub und das rechte Auge sah nur schwach, die Zunge war teils gelähmt, so dass das Sprechen nur langsam und stotternd ging. Nach zwei Jahren des Leidens wurde er von dem Husumer Arzt Dr. Volquardsen durch Magnetismus geheilt; dies war ein so prägendes Erlebnis für Harro, dass er Zeit seines Lebens von der Heilkraft des Magnetismus überzeugt war (ein gedrucktes Zeugnis dieser Tatsache ist das Werk „Rapport entre le Magnetisme et la Sphereologie“, Nr. 1856.1).

Wegen seiner Schwäche konnte er mit dem Beginn des Schulalters keine Schule besuchen, sein Vater und auch sein älterer Bruder kümmerten sich um seine schulische Ausbildung; mit Hilfe der Bibliothek der beiden legte er als Autodidakt die ersten Grundlagen seiner Bildung.

Der Vater starb und hinterließ erhebliche Schulden. Durch diese Schulden des Vaters und zusätzlich durch üble Machenschaften eines Onkels und eines Namenspaten stürzte die Familie in völlige Armut; der Hof musste aufgegeben werden, und die Mutter zog mit ihrem Sohn Harro in eine ärmliche Wohnung nach Hattstedt.

Harro wurde mit dem Spruch „Wachet, stehet im Glauben, seid männlich und seid stark!“ konfirmiert; dieser Spruch könnte als Leitmotiv über dem Lebensweg Harrings stehen.

1813 – 1817
Vier Jahre lernte und arbeitete Harring im Zollamt Husum. Der Justizrat von Wardenburg wurde in Husum sein Pflegevater und im Zollamt war der Zollbevollmächtigte Heinrich Todsen sein Vorgesetzter. Beide übten auf Harro großen Einfluss aus. Zu beiden hielt er über dreißig Jahre die Verbindung, sie waren in jeder Hinsicht feste Bezugspersonen in der Heimat und gaben häufig Unterstützung in den späteren sehr bewegten Jahren (viele der zum Teil sehr persönlichen Briefe Harrings an die beiden sind erhalten und befinden sich im Nachlass Harrings in der LB Kiel; sie geben teilweise genauen Aufschluss über die jeweilige innere und äußere Situation Harrings). In dieser Lehrzeit konnte Harro von der an deutscher Literatur reichen Bibliothek Todsens profitieren; hier machte Harro entscheidende Bekanntschaft mit den deutschen Klassikern Goethe, Seume, Schiller, Wieland, Sonnenberg und Werner und vor allem auch Körner; in ganz besonderer Weise beindruckten ihn die Schillersehen Dramen – vor allem berührte das Drama „Don Carlos“ ihn tief. Seine Träume von einem Künstlerdasein fand er in dem 1806 erschienenen Roman „Leben des Künstlers Asmus Jacob Carstens“ von Karl Ludwig Fernow wieder. Er lernte dieses Buch fast auswendig.

1817/18 — 1819/20
Nach der Lehre ging er nach Kopenhagen, um dort Kunst und Malerei zu studieren. Er setzte das Studium der Malerei dann in Dresden mit der Absicht fort, Historien- und Schlachtenmaler zu werden; hier unterlag er dem Einfluss der Werke Caspar David Friedrichs. In dieser Zeit entstanden erste Verbindungen zu radikalen Burschenschaftsbewegungen und es kam zu der entscheidenden Bekanntschaft mit dem Medizinstudenten Wilhelm Boldemann, der engen Kontakt zu der radikalen Studentengruppe „Die Schwarzen von Gießen“ um Karl Follen hatte.

Zweifel an seiner künstlerischen Begabung als Maler und eine unerfüllte Liebe führten Harring in eine tiefe Depression. Wilhelm Boldemann nahm sich seiner an, richtete ihn wieder auf und spannte ihn in politische Agitationen des studentischen Freiheitskampfes ein. Er schickte Harro, der ohnehin den Plan hegte, sein Studium in Wien fortzusetzen, über Wien nach Pest, mit dem Auftrag, dort zu den ungarischen Studenten Kontakt aufzunehmen. Harring kam am 20. April 1820 in Wien an; hier fiel er wegen seiner Kleidung, der schwarzen altdeutschen Tracht der Burschenschaftler, sofort der Polizei auf; man hielt ihn für einen „verdächtigen Demagogen“ und verweigerte ihm das Visum für die Weiterreise nach Ungarn. Der weitere Aufenthalt in Wien wurde ihm nur unter Auflagen genehmigt (regelmäßiges Vorstellen bei der Polizei und Kurzschneiden der Haare). Ihm gefiel diese Polizeiüberwachung natürlich nicht und im Juni verließ Harring Wien in Richtung Würzburg, um dort Wilhelm Boldemann zu treffen.

Nach der Ermordung des Dichters August von Kotzebue, der Spion in russischen Diensten war, durch den Studenten Carl Sand wurden die Demagogenverfolgungen mit der strengen Überwachung der Universitäten und der Auflösung der Burschenschaften verschärft. Dieser herbe Rückschlag für die liberalen und demokratischen Kräfte in Deutschland war Harrings erste große politische Enttäuschung. Aus Solidarität zu dem hingerichteten Carl Sand besuchten Harring und Boldemann dessen Eltern in Wunsiedel. Im Herbst 1820 kehrte Harro in die Heimat zurück zu seiner Mutter und seinem Bruder Martin, die in Neuenkirchen (Dithmarschen) wohnten; Martin hatte dort eine Predigerstelle inne.

1821
Anfang des Jahres bekam Harring ein Stipendium von Prinz Christian von Dänemark zum Weiterstudium an der Akademie in Kopenhagen. Er begab sich sofort dorthin, um sein Studium fortzusetzen.

Harring wurde allmählich klar, dass sein Talent als Maler nicht sehr groß war, so folgte er seiner Begabung als Schriftsteller und veröffentlichte seine beiden ersten selbständigen Werke, die Gedichtsammlungen „Blüthen der Jugendfahrt“ und „Dichtungen“. Seine materielle und seelische Situation verschlechterte sich allerdings wieder, weil der Kronprinz nach Auszahlungen kleinerer Beträge ein längerfristiges Stipendium verweigerte. Hinzu kamen Probleme mit dem linken Auge, die eine Karriere als Maler mehr und mehr in Frage stellten.

1821/22
Noch in Kopenhagen hörte Harring von der Erhebung der Griechen gegen die türkische Fremdherrschaft. Zu Beginn des Jahres 1821 hatte Alexander Ypsilanti, der Führer der griechischen Freiheitsbewegung, eine Proklamation zur nationalen Unabhängigkeit verkündet. Diese Forderung nach Autonomie lag in der Linie des allgemeinen Freiheitsstrebens der Völker Europas.

Die Erhebung der Griechen löste unter den liberalen und demokratischen Kräften Europas Stürme der Begeisterung und eine Welle der Solidarität aus; es wurden Griechen-Vereine gegründet, die den Kampf mit Geld, Waffen und freiwilligen Kämpfern unterstützten.

Die revolutionären und freiheitlich gesinnten Burschenschaftler, deren Organisationen nach der Ermordung Kotzebues zerschlagen worden und nun einer schärferen Polizeiüberwachung an den Universitäten ausgesetzt waren, sahen nun eine Möglichkeit, für ihre Vorstellungen und Ideale zu kämpfen – allerdings zunächst in Griechenland, aber sie waren natürlich beseelt von der Vision, diesen Freiheitskampf in Deutschland fortzusetzen.

Auch Harring war begeistert von diesen Ideen und schloss sich der philhellenistischen Truppe von Idealisten an, zumal seine persönliche Situation in Kopenhagen in eine Sackgasse geraten war.

Mitte Juli 1821 verließ Harring Kopenhagen in Richtung Griechenland. Auf der Reise nach Marseille, von wo die Überfahrt starten sollte, kamen viele sehr verschiedene Begeisterte und Kampfeswillige zusammen: Schwärmer, erfahrene Kämpfer, Moralapostel, Abenteurer und – zum besonderen Leidwesen Harrings – auch Lumpen, Profiteure und andere dubiose Gestalten. So gab es viel Streit unter den Anreisenden, selbst Harring duellierte sich noch im Dezember in Marseille vor der Überfahrt mit dem Dänen Stabell; durch einen Trick der Sekundanten wurde das Duell jedoch zu einer Farce und keiner kam zu Schaden. Harring schrieb, nachdem er Griechenland wieder verlassen hatte, an seinen Gönner Heinrich Todsen in Husum: „Teutschland schien den Unrath ausgespien zu haben, unter jeder Räuberbande möchten sich bessere Leute finden lassen wie unter jenen. Notzucht auf offener Landstraße, Stumpfsinn für jedes Schöne war das Gepräge, welches die Stirn trug.“ (Brief vom 9.4.1822 aus Rom).

1822
Am 10. Januar 1822 verließen vierunddreißig Philhellenen mit dem Schoner St. Marie als dritte deutsche Expedition den Hafen von Marseille. Noch einen Tag vor der Abfahrt schrieb Harring, erfüllt mit Zuversicht und großen Erwartungen der kommenden Ereignisse, an seinen Bruder Martin: „Wir sind stark bewaffnet mit allem Nöthigen versehen, die dem Lande der aufdämmernden Freyheit entgegen schiffen. Die Nachrichten von dort sind alle gut. Man wird aufgestellt nach Fähigkeiten und mit Liebe aufgenommen.“ (Brief vom 9.1.1822 aus Marseille). Am 21. Januar1822 erreichte das Schiff Navarino auf Morea (d.i. der Peleponnes).

Doch die Ernüchterung kam sehr bald und die Enttäuschung war grenzenlos. Harring beschrieb die Realität in Griechenland in seinem autobiographischen Werk „Rhonghar Jarr“ ziemlich genau: schlechte Unterbringung, mangelhafte Verpflegung, Ypsilanti selbst wurde gefangen und sein Heer war geschlagen und zersprengt, so gab es kein reguläres griechisches Heer mehr, in dem den Philhellenen Ausrüstung und Verpflegung gestellt wurde und in dem sie gegen Sold kämpfen konnten. Das ganze Unternehmen endete nach kurzer Zeit desaströs; Harring berichtet darüber in einem Brief an Todsen in Husum: „Bei unserer Ankunft in Griechenland schlug Alles fehl. Wir konnten keinen Sold, ja nicht einmal Brot kriegen und wer kein Geld hatte, sah dem Hungertod entgegen, der in Argos im Spital mehrere hinweg gerafft hat. Krieg war nicht da, sondern ein Possenspiel der türkischen und griechischen Bauern. Kein organisiertes Militär auf ganz Morea, u. keine Aussicht, sondern die gänzliche Unmöglichkeit, daß sich das Volk je organisieren lasse. Ein deutsches Corps war noch weniger zu errichten, da sich die Deutschen, welche früher hergeeilt waren, alle zerstreut u. viele schon auf der Rückreise waren.“ (Brief vom 9.4.1822 aus Rom).

Nachdem Harring die Lage erkannt hatte, schloss er sich einer kleinen Gruppe von Philhellenen an, die sich von Navarino nach Kalamata durchschlagen wollte, dort vermutete er nämlich seinen Freund Boldemann. In Kalamata wurde die kleine Schar nur ungern aufgenommen. Hier erhielt Harring die erschütternde Nachricht von Boldemanns Tod. Die Gruppe zog weiter in Richtung Argos, sie wurde dann kurz nach Verlassen der Stadt Kalamata von Wegelagerren überfallen und vollständig ausgeraubt. So kehrten sie niedergeschlagen nach Kalamata zurück. Hier lernte Harring den Leipziger Jurastudenten Bernhard Moßdorf kennen, der ebenfalls tief enttäuscht von dieser Griechenlandmission war. Gemeinsam verließen Harring und Moßdorf Griechenland.

Nach weniger als drei Wochen war das Abenteuer Griechenland für Harring somit beendet. Seine große Enttäuschung über Griechenland brachte er in dem Werk „Rhonghar Jarr“ nochmals so zum Ausdruck: „Ich will dir sagen, worin dein Unheil begründet liegt, das liegt begründet im Moraste deiner moralischen Verderbtheit. Dieweil du nicht weißt was Freiheit ist, armes Hellenen = Volk! wirst du dir auch nimmermehr die Freyheit erringen“. Es folgt dann noch der Aufruf Harrings mit seinem Konfirmationsspruch: „Ihr Männer der Hellenen! wachet! stehet im Glauben! seyd männlich und seyd stark!“

Dieses war die zweite große politische Enttäuschung Harrings in seinem Kampf für Freiheit und Demokratie.
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Bleistiftzeichnung von Joseph Führich, 1827, Narodni Galerie, Prag